_DAS EDLE IM MONSTRUM_
Ein Schauspiel
PERSONEN:
STAMM - Ein Baumkuchen
SCHNITTER - Ein Jüngling
Schauplatz: Eine geräumige Wohnküche, inmitten ein runder Tisch.
Schnitter auf einem Stuhl am Tisch sitzend, während Stamm - vor ihm liegend
auf dem Tisch - zum Verzehr der Verpackung bereits entledigt wurde.
EINZIGER AUFZUG
EINZIGER AUFTRITT
STAMM: Dein Blick gefällt mir nicht!
SCHNITTER: Was Du nicht sagst, Stamm!
STAMM: Wozu hältst Du dieses Monstrum von Messer in Deiner Hand, wenn Du es doch nicht gegen mich benutzen willst?
(Schnitter senkt den Kopf, und seufzt. Er antwortet leise, kaum hörbar)
SCHNITTER: Gut erkannt, mein Freund.
(Kurzes Schweigen)
STAMM: Sie lässt Dich nicht los, wie?!
SCHNITTER: Ist wohl kaum zu übersehen, was?!
STAMM: Ich verstehe nicht, wieso Du noch hier sitzt? An Deiner Stelle würde ich ihr sagen, was in Dir vorgeht.
SCHNITTER: Ich sitze hier, weil ich Hunger hab, Stamm.
(Stamm reißt entsetzt die Augen auf und stöhnt)
STAMM: Oh?! Du meinst…
SCHNITTER: So sieht’s aus, mein Lieber. Du bist hier, ich bin hier, …
STAMM: Aber SIE ist nicht hier! Und seit wann ist Dir bitte das Hungergefühl bekannt? Hast es wohl für Dich neu entdeckt? Du isst doch sonst nicht viel, in solchen Situationen schon garnicht.
SCHNITTER: Vorsicht, Speise! Dein Mundwerk ist lose.
(Beide blicken sich an. Erneutes Schweigen)
STAMM: Komm’ schon. Schreib’ ihr was Nettes. Sie wird Dir verzeihen. Wirst sehen.
SCHNITTER: Ich kann ihr nicht schreiben, Stamm. Und auch nicht mit ihr sprechen. Ich kann nur hier sitzen…
STAMM: Wie, Du kannst ihr nicht schreiben? Hast Du’s verlernt? Bist ihr wohl nicht gewachsen, Schnitterleinchen?!
(Stamm schmunzelt in seine Schokoladenglasur hinein)
SCHNITTER: Ach was, Stamm! Du verstehst einfach nicht.
STAMM: Was verstehe ich nicht? Ist es so kompliziert?
(Schnitter schweigt)
STAMM: Na, und? Wird’s bald? Wie Du siehst, hab ich heute nichts Erstrebenswertes mehr vor.
SCHNITTER: Du verstehst es wirklich, Deine Halbwertszeit noch zu halbieren!!
(Hält ihm das Kuchenmesser mit blitzender Klinge vor den Leib)
STAMM: Hui, das Ausmaß Deiner Verzweiflung bringt Dich vom Weg ab, weißt Du das? Wenn Du Dich schon auf diese Weise an Schwächeren vergreifen willst. Drohgebärden werden Dir nicht weiterhelfen.
SCHNITTER: Wohl die Weisheit gleich mit Schöpfkellen gefressen?!
STAMM: Sachte, Bub. Wir werden laut! Jetzt sag’ schon, was soll das alles? ‚Kann ich nicht’ gibt es nicht!
(Schnitter legt das Messer beiseite, und senkt den Kopf)
SCHNITTER: Gibt es sehr wohl, mein Freund. Gibt es sehr wohl. Ich habe ihr versprochen, nie wieder das Wort an Sie zu richten. Um sie nicht zu verletzen. Und ich gehöre zu den Menschen, die Wort halten, Stamm!
STAMM: Du meine Güte! Stur ist er auch noch?! Sie sich das einer an!
SCHNITTER: Ich habe meine Gründe. Glaube mir.
(Stille)
STAMM: Du hast ihr wehgetan, nicht wahr?
SCHNITTER: Ja, Stamm. Das hab’ ich. Sehr sogar. Wie Du weißt, richte ich mit Worten großen Schaden an.
STAMM: Aber, aber. Nicht doch.
SCHNITTER: Hör’ auf, mich illuminieren zu wollen! Du weißt, ich kann mit Worten töten. So beinahe schon geschehen!
STAMM: Soviel ich weiß, ist damals alles gut ausgegangen. Er hat Dir ganz bestimmt verziehen.
SCHNITTER: Es ist aber geschehen, Stamm. Und ich hätte nichts mehr dagegen tun können. Mir ist es lediglich erspart geblieben, die Verantwortung für die Umstände übernehmen zu müssen.
STAMM: Das ist lange her. Du bist längst nicht mehr Derselbe. Und überhaupt. Wenn Du mit ihr sprichst, dann wird sie sehen, dass Du…
SCHNITTER: Lass' gut sein, Stamm. Ich bin ein Mann des Wortes. Und ich sage Dir noch einmal: Es bleibt dabei!
STAMM: Hm… Verfahrene Situation.
(Die Blicke der Beiden kreuzen sich, sie grübeln)
STAMM: Da es sowieso ausweglos scheint: Was hättest Du ihr denn gern noch sagen wollen?
SCHNITTER: Ach Stamm. Erinnerst Du Dich noch an ‚IPHIGENIE AUF TAURIS’?
STAMM: Klar doch! Von diesem Goethe. Ich kann mich noch an diesen ganzen Mythologie-Kram erinnern. Wie hieß doch gleich Agamemnons Frau mit diesem furchtbar
unaussprechlichen Namen?
SCHNITTER: ‚Klytämnestra’. Aber die meine ich gar nicht, Stamm. Mir geht es um Pylades.
STAMM: Was war mit dem? Versteh’ nicht ganz?
SCHNITTER: Weißt Du noch, was Pylades zu Orest sagte? Er hatte doch versucht, seinen Bruder, der sich wegen des gemeinsamen Mordes an der eigenen Mutter schrecklich quälte, aufzumuntern. Richtig?
STAMM: Kann schon sein, weiß nicht mehr so genau… Und?
SCHNITTER: Pylades sagte im ersten Auftritt des zweiten Aufzuges zu Orest: „Und Lust und Liebe sind die Fittiche zu großen Taten.“
STAMM: Und weiter? Was hat das mit Deiner Muse zu tun?
SCHNITTER: Versteh’ doch, Stamm. Ich habe sie sehr schlecht behandelt. Und was noch viel schlimmer ist: Ich habe mit ihr arge Spielchen getrieben, die sich im Umgang mit einer Dame nicht ziemen. Auch die meinigen Taten waren demnach nicht von Größe. Und schon gar nicht ehrenwert.
STAMM: Sieh’ mal einer an, Frankensteins Gentleman!
SCHNITTER: Meine Rede. Jetzt werd’ ich ihr nie mehr in die Augen sehen können, ohne mich gleichzeitig für meine Missetaten zu schämen …
(Bedenkliches Schweigen)
SCHNITTER: Außerdem halte ich mein Wort. Das steht fest! Das habe ich ihr schließlich versprochen. Daran gibt es auch nichts zu rütteln. Durch mein Verhalten habe ich
mich selbst disqualifiziert!
STAMM: So wie ich das sehe, waren es in Deinem Fall aber nur Worte. Oder lieg’ ich da etwa falsch?
SCHNITTER: Eben drum. Gerade deshalb. Du weißt doch, wie schwer sie wiegen. Wie unumstößlich sie sind.
STAMM: Wenn Du meinst?! Glaubst Du nicht, sie wartet auf ein Zeichen von Dir?
SCHNITTER: Denke, nicht.
STAMM: Was sagt Dir Dein Bauchgefühl?
(Als Schnitter den Blick auf ihn richtet, bemerkt Stamm plötzlich die Unachtsamkeit seiner Wortwahl)
SCHNITTER: Mein Bauchgefühl? Ich weiß nicht, sag’ Du’s mir?!
(Stamm zuckt zusammen. Schnitter hebt seine Schultern, lächelt, und legt die Stirn mitleidig in Falten)
SCHNITTER: Lass uns was essen, Stamm!
© 2006 R.K.
PERSONEN:
STAMM - Ein Baumkuchen
SCHNITTER - Ein Jüngling
Schauplatz: Eine geräumige Wohnküche, inmitten ein runder Tisch.
Schnitter auf einem Stuhl am Tisch sitzend, während Stamm - vor ihm liegend
auf dem Tisch - zum Verzehr der Verpackung bereits entledigt wurde.
EINZIGER AUFZUG
EINZIGER AUFTRITT
STAMM: Dein Blick gefällt mir nicht!
SCHNITTER: Was Du nicht sagst, Stamm!
STAMM: Wozu hältst Du dieses Monstrum von Messer in Deiner Hand, wenn Du es doch nicht gegen mich benutzen willst?
(Schnitter senkt den Kopf, und seufzt. Er antwortet leise, kaum hörbar)
SCHNITTER: Gut erkannt, mein Freund.
(Kurzes Schweigen)
STAMM: Sie lässt Dich nicht los, wie?!
SCHNITTER: Ist wohl kaum zu übersehen, was?!
STAMM: Ich verstehe nicht, wieso Du noch hier sitzt? An Deiner Stelle würde ich ihr sagen, was in Dir vorgeht.
SCHNITTER: Ich sitze hier, weil ich Hunger hab, Stamm.
(Stamm reißt entsetzt die Augen auf und stöhnt)
STAMM: Oh?! Du meinst…
SCHNITTER: So sieht’s aus, mein Lieber. Du bist hier, ich bin hier, …
STAMM: Aber SIE ist nicht hier! Und seit wann ist Dir bitte das Hungergefühl bekannt? Hast es wohl für Dich neu entdeckt? Du isst doch sonst nicht viel, in solchen Situationen schon garnicht.
SCHNITTER: Vorsicht, Speise! Dein Mundwerk ist lose.
(Beide blicken sich an. Erneutes Schweigen)
STAMM: Komm’ schon. Schreib’ ihr was Nettes. Sie wird Dir verzeihen. Wirst sehen.
SCHNITTER: Ich kann ihr nicht schreiben, Stamm. Und auch nicht mit ihr sprechen. Ich kann nur hier sitzen…
STAMM: Wie, Du kannst ihr nicht schreiben? Hast Du’s verlernt? Bist ihr wohl nicht gewachsen, Schnitterleinchen?!
(Stamm schmunzelt in seine Schokoladenglasur hinein)
SCHNITTER: Ach was, Stamm! Du verstehst einfach nicht.
STAMM: Was verstehe ich nicht? Ist es so kompliziert?
(Schnitter schweigt)
STAMM: Na, und? Wird’s bald? Wie Du siehst, hab ich heute nichts Erstrebenswertes mehr vor.
SCHNITTER: Du verstehst es wirklich, Deine Halbwertszeit noch zu halbieren!!
(Hält ihm das Kuchenmesser mit blitzender Klinge vor den Leib)
STAMM: Hui, das Ausmaß Deiner Verzweiflung bringt Dich vom Weg ab, weißt Du das? Wenn Du Dich schon auf diese Weise an Schwächeren vergreifen willst. Drohgebärden werden Dir nicht weiterhelfen.
SCHNITTER: Wohl die Weisheit gleich mit Schöpfkellen gefressen?!
STAMM: Sachte, Bub. Wir werden laut! Jetzt sag’ schon, was soll das alles? ‚Kann ich nicht’ gibt es nicht!
(Schnitter legt das Messer beiseite, und senkt den Kopf)
SCHNITTER: Gibt es sehr wohl, mein Freund. Gibt es sehr wohl. Ich habe ihr versprochen, nie wieder das Wort an Sie zu richten. Um sie nicht zu verletzen. Und ich gehöre zu den Menschen, die Wort halten, Stamm!
STAMM: Du meine Güte! Stur ist er auch noch?! Sie sich das einer an!
SCHNITTER: Ich habe meine Gründe. Glaube mir.
(Stille)
STAMM: Du hast ihr wehgetan, nicht wahr?
SCHNITTER: Ja, Stamm. Das hab’ ich. Sehr sogar. Wie Du weißt, richte ich mit Worten großen Schaden an.
STAMM: Aber, aber. Nicht doch.
SCHNITTER: Hör’ auf, mich illuminieren zu wollen! Du weißt, ich kann mit Worten töten. So beinahe schon geschehen!
STAMM: Soviel ich weiß, ist damals alles gut ausgegangen. Er hat Dir ganz bestimmt verziehen.
SCHNITTER: Es ist aber geschehen, Stamm. Und ich hätte nichts mehr dagegen tun können. Mir ist es lediglich erspart geblieben, die Verantwortung für die Umstände übernehmen zu müssen.
STAMM: Das ist lange her. Du bist längst nicht mehr Derselbe. Und überhaupt. Wenn Du mit ihr sprichst, dann wird sie sehen, dass Du…
SCHNITTER: Lass' gut sein, Stamm. Ich bin ein Mann des Wortes. Und ich sage Dir noch einmal: Es bleibt dabei!
STAMM: Hm… Verfahrene Situation.
(Die Blicke der Beiden kreuzen sich, sie grübeln)
STAMM: Da es sowieso ausweglos scheint: Was hättest Du ihr denn gern noch sagen wollen?
SCHNITTER: Ach Stamm. Erinnerst Du Dich noch an ‚IPHIGENIE AUF TAURIS’?
STAMM: Klar doch! Von diesem Goethe. Ich kann mich noch an diesen ganzen Mythologie-Kram erinnern. Wie hieß doch gleich Agamemnons Frau mit diesem furchtbar
unaussprechlichen Namen?
SCHNITTER: ‚Klytämnestra’. Aber die meine ich gar nicht, Stamm. Mir geht es um Pylades.
STAMM: Was war mit dem? Versteh’ nicht ganz?
SCHNITTER: Weißt Du noch, was Pylades zu Orest sagte? Er hatte doch versucht, seinen Bruder, der sich wegen des gemeinsamen Mordes an der eigenen Mutter schrecklich quälte, aufzumuntern. Richtig?
STAMM: Kann schon sein, weiß nicht mehr so genau… Und?
SCHNITTER: Pylades sagte im ersten Auftritt des zweiten Aufzuges zu Orest: „Und Lust und Liebe sind die Fittiche zu großen Taten.“
STAMM: Und weiter? Was hat das mit Deiner Muse zu tun?
SCHNITTER: Versteh’ doch, Stamm. Ich habe sie sehr schlecht behandelt. Und was noch viel schlimmer ist: Ich habe mit ihr arge Spielchen getrieben, die sich im Umgang mit einer Dame nicht ziemen. Auch die meinigen Taten waren demnach nicht von Größe. Und schon gar nicht ehrenwert.
STAMM: Sieh’ mal einer an, Frankensteins Gentleman!
SCHNITTER: Meine Rede. Jetzt werd’ ich ihr nie mehr in die Augen sehen können, ohne mich gleichzeitig für meine Missetaten zu schämen …
(Bedenkliches Schweigen)
SCHNITTER: Außerdem halte ich mein Wort. Das steht fest! Das habe ich ihr schließlich versprochen. Daran gibt es auch nichts zu rütteln. Durch mein Verhalten habe ich
mich selbst disqualifiziert!
STAMM: So wie ich das sehe, waren es in Deinem Fall aber nur Worte. Oder lieg’ ich da etwa falsch?
SCHNITTER: Eben drum. Gerade deshalb. Du weißt doch, wie schwer sie wiegen. Wie unumstößlich sie sind.
STAMM: Wenn Du meinst?! Glaubst Du nicht, sie wartet auf ein Zeichen von Dir?
SCHNITTER: Denke, nicht.
STAMM: Was sagt Dir Dein Bauchgefühl?
(Als Schnitter den Blick auf ihn richtet, bemerkt Stamm plötzlich die Unachtsamkeit seiner Wortwahl)
SCHNITTER: Mein Bauchgefühl? Ich weiß nicht, sag’ Du’s mir?!
(Stamm zuckt zusammen. Schnitter hebt seine Schultern, lächelt, und legt die Stirn mitleidig in Falten)
SCHNITTER: Lass uns was essen, Stamm!
© 2006 R.K.
DENKUNGSART - 28. Dez, 18:36